Projektbeschreibung
Die Nachbarschaftsgespräche wurden vom Land Baden-Württemberg im Jahr 2017 als ein neues Format entwickelt und erprobt. Dieses Format hatte den Anspruch eine breite Beteiligung möglich zu machen und gerade auch Menschen zu erreichen, die normalerweise bei Großgruppenformaten der Bürgerbeteiligung nicht erreicht werden. Pforzheim wurde neben Mannheim und Freiburg als einer von drei Modellstandorten ausgewählt.
Bei den Nachbarschaftsgesprächen handelt es sich um eine neue Form aufsuchender Bürgerbeteiligung in ausgewählten Stadtteilen. Dabei kommen zufällig ausgewählte Bürgerinnen und Bürger zusammen und tauschen sich als Nachbarn über ihre Wünsche und Ideen für ein gemeinsames Zusammenleben aus. Die Dialoge stützen sich auf dem Prinzip des Zuhörens und des Antwortens durch die Politik. Mit der Zufallsbürgerauswahl sollen auch diejenigen erreicht werden, die bisher von der Politik nicht ausreichend gehört und erreicht werden und sozusagen außerhalb des Radars der Politik liegen.
Das Neue daran war, dass die Menschen im kleinen Kreis der vermeintlich unnahbaren Politik und Verwaltung in ihrem direkten Lebensumfeld und ihren Nachbarschaften begegnen konnten. Es wurde eben nicht erwartet, dass sie dafür zu zentralen und großen Veranstaltungen gehen.
Aus den Erfahrungen aus den Pilotprojekten im Jahr 2017, ist im Jahr 2018 ein reguläres Förderprogramm des Landes unter dem Titel "Nachbarschaftsgespräche. Zusammenleben - aber wie?" entwickelt worden.
Pforzheim hat im Rahmen der Pilotphase sehr gute Erfahrungen mit der Zufallsbürgerauswahl und dem Format Nachbarschaftsgespräche an sich gemacht und entschied sich daher sehr schnell dazu weitere Nachbarschaftsgespräche durchzuführen. Insgesamt wurden von 2017 bis 2020 in sieben Stadtteilen Nachbarschaftsgespräche umgesetzt.
Ab dem Jahr 2018 haben wir uns in Pforzheim dazu entschieden, den Nachbarschaftsgruppen jeweils zusätzlich noch ein Projektbudget in Höhe von 3.000 Euro pro Stadtteil zur Verfügung zu stellen, damit die Gruppen einige Ideen selbst umsetzen können.
Zielgruppe:
Zufallsauswahl fördert die Generierung eines Querschnitts der Bewohnerschaft und vermeidet Selektion. Daher legten wir keinen Fokus auf bestimmte Zielgruppen sondern strebten bewusst Vielfalt an.
Wie Breite Beteiligung in diesem Projekt umgesetzt wurde:
u Beginn der Nachbarschaftsgespräche wurden ca. 500 Bürger*innen zufällig aus dem Einwohnermelderegister ausgewählt und mit einem Schreiben des Oberbürgermeisters zur Teilnahme an den Nachbarschaftsgesprächen eingeladen. Da es uns im Jahr 2018 nicht so gut gelungen war Menschen mit Zuwanderungsgeschichte für die Gespräche zu gewinnen, wurde das Einladungsschreiben in Zusammenarbeit mit unseren Integrationsmanager*innen grundlegend überarbeitet und in leichter Sprache verfasst. Zum Schluss war es so einfach gehalten, dass wir befürchteten, erstaunte Anrufe von "Durchschnittsdeutschen“ zu erhalten. Zudem setzten wir noch auf ein gezieltes persönliches Nachhaken bei einigen Personen aus der Stichprobe. Und tatsächlich wurde unser Mut belohnt - es blieben nicht nur die erstaunten Anrufe aus, sondern wir erhielten auch viele Rückmeldungen von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. Zwar konnte der letztliche Anteil von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte mit 50 % in den Nachbarschaftsgesprächen nicht ganz dem Querschnitt von rund 70 % im Stadtteil erreichen, aber er war verglichen mit den Erfahrungen aus dem Vorjahr sehr hoch. Wir sind überzeugt, dass sich bei einer verstärkten zusätzlichen persönlichen Ansprache der Menschen noch bessere Quoten ergeben hätten. Da dies jedoch sehr aufwändig und zeitintensiv ist, muss jede*r für sich selbst abwägen, welche Kapazitäten hierein fließen können und sollen.
Was hat mit Blick auf die Breite Beteiligung gut geklappt und warum:
Wir sind davon überzeugt, dass die Zufallsauswahl in Kombination mit der aufsuchenden Beteiligung und damit verbunden der Quartiers- und Gemeinschaftsorientierung den Erfolg des Formats ausmacht. Dadurch werden in mehrfacher Hinsicht Zugangsbarrieren abgebaut.
Wenn die Einladung durch ein für alle Personengruppen gut verständliches Schreiben erfolgt und auch für die Zeit der Gespräche die Möglichkeit der Kinderbetreuung, barrierefreie Zugänge, Dolmetscher etc. angeboten werden, dann erreicht man tatsächlich Personengruppen, die sich sonst eher nicht beteiligen. Durch eine zusätzliche persönliche Ansprache lässt sich die Beteiligung dieser stillen Gruppen zudem noch steigern. Allerdings ist sie zeitintensiv und braucht dementsprechend Ressourcen, welche man vorher einplanen muss. Daher dauert bei uns der Vorlauf, bevor die Gespräche tatsächlich starten rund drei Monate.
Was hat mit Blick auf die Breite Beteiligung weniger gut geklappt:
Aus heutiger Sicht würden wir - in nicht Corona-Zeiten - alles wieder so machen wie in der letzten Runde und möchten die Nachbarschaftsgespräche in Pforzheim verstetigen. Um an diesen Punkt zu kommen, haben wir jedoch in jeder Runde nachgebessert oder versucht uns weiter zu entwickeln. So führten wir zunächst das Projektbudget ein, um direkte Umsetzungsmöglichkeiten und die Möglichkeit für ein längerfristiges Engagement in der Nachbarschaftsgruppe zu schaffen. Als wir 2018 merkten, dass wir nicht so viele Menschen mit Zuwanderungsgeschichte erreicht haben, wie wir uns gewünscht hatten, haben wir in 2019 das Einladungsschreiben überarbeitet. Eine gewisse Offenheit für Veränderung und Flexibilität im Prozess gehört einfach dazu. Aktuell müssen wir uns in sämtlichen Beteiligungsprojekten auf die veränderte Situation in der Pandemie einlassen und darauf flexibel reagieren. Vielleicht können wir dann in 2022 rückblickend ebenfalls erzählen, dass durch die neue Herausforderung eine neue Weiterentwicklung stattgefunden hat.
Ansprechperson / Projektinitiative
Susanne Wacker
Stadt Pforzheim
07231-392131
Allianz für Beteiligung, Land BW
Nachbarschaftsgespräche. Zusammenleben - aber wie?